«Eine Schrift ist nie ganz fertig.»
Zeitloses Design trifft auf nordisches Understatement: Die Schrift «Unica77» der Schweizer Type Foundry Lineto hat die Marke Polestar von Anfang an geprägt. Im Rahmen der Zurich Design Weeks werfen wir einen Blick auf die spannende Geschichte hinter Unica77.
Im Alltag unterstützen uns Schriften nicht nur beim Lesen von Texten, sondern prägen oft unbewusst unser Markenerlebnis. «Stell dir zum Beispiel das Coca-Cola-Logo vor. Egal, was du mit dieser Schrift schreibst – es bleibt immer Coca-Cola», erklären Luca Pellegrini und Weichi He. Die beiden Typografen arbeiten beide seit vier Jahren bei der renommierten Zürcher Type Foundry Lineto. Im Rahmen der Zurich Design Weeks bietet Lineto im Polestar Space einen Einblick in die Entstehungsgeschichte dieser Schrift.
Quality first
Lineto war 1998 der erste Schweizer Anbieter, der seine selbst entworfenen Schriften direkt übers Internet verkaufte und damit einem weltweiten Publikum zugänglich machte. Die Resonanz ihrer qualitativ hochstehenden Schriften zeigt sich auch an den Brands, mit denen Lineto zusammenarbeitet – darunter z.B. Spotify, Airbnb, Nike oder Polestar. «Bei der Entwicklung steht für uns aber nicht der kommerzielle Nutzen einer Schrift im Vordergrund, sondern ihre gestalterische Qualität», erklärt Luca.
Moderner Klassiker
Die Geschichte der Unica77 ist ein solches Beispiel für Qualität. In einer handschriftlichen Notiz beschrieb Alfred Hofmann, der damalige Direktor der Schriftgiesserei Haas, 1973 seine ersten Überlegungen für die «Photo Haas Grotesk» – den Vorläufer der heutigen Unica77. Mit der «Neuen Haas Grotesk», heute besser bekannt als «Helvetica», hatte die Schriftgiesserei bereits 15 Jahre zuvor einen Welterfolg erzielt, an den sie anknüpfen wollte.
Die neue Schrift sollte den veränderten technischen Anforderungen gerecht werden. «Während die Schriften im Bleisatz für verschiedene Grössen und Anwendungen jeweils eigene Matrizen, also Metallformen, benötigten, versprach der Fotosatz vielfältigere Möglichkeiten in der Anwendung der Schrift», erklärt der Zürcher Grafik Designer Ivan Sterzinger.
Zu diesem Zweck wurden die Schriftgestalter von Team77 mit einer Schriftstudie beauftragt, die 1980 unter dem Namen «Von der Helvetica - zur Haas Unica» in der Fachzeitschrift «Typografische Monatsblätter» veröffentlicht wurde und grosses Aufsehen erregte. Die Haas’sche Schriftgiesserei hatte jedoch in der Folge mit finanziellen und rechtlichen Problemen zu kämpfen. Mit der Haas’schen Schriftgiesserei verschwand auch die Schrift beinahe 20 Jahre vom Markt, bis Anfang der Nullerjahre verschiedene Designerinnen und Designer im Umfeld von Lineto schliesslich auf die Haas Unica stiessen und darin noch immer grosses Potenzial sahen. Sie kontaktierten die Urheber von Team77 und veröffentlichten in enger Zusammenarbeit mit ihnen schliesslich 2015 die Unica77. Somit blickt die Schrift 2023 bereits auf eine 50-jährige Geschichte zurück – und ist heute wie damals ein zeitloser Klassiker.
Skandi-Swissness
Im Jahr 2017 entschied sich Polestar schliesslich, die Schrift für seinen Markenauftritt zu nutzen. «Die Marke Polestar verbindet nordisches Understatement mit Qualität, Technologie und minimalistischem Design. All diese Werte sahen wir in der Unica77 perfekt repräsentiert. Darüber hinaus ist die Geschichte von Polestar genauso eng mit den technologischen Innovationen unserer Zeit verbunden, wie jene von Unica77», erklärt Nadine Romero, Head of Marketing bei Polestar Schweiz.
Streben nach Perfektion
Die Schrift wurde jedoch nicht einfach übernommen, sondern angepasst und erweitert: Abstände wurden verkleinert, kyrillische, hebräische und griechische Schriftsätze hinzugefügt. Das geschieht auch im digitalen Zeitalter nicht auf Knopfdruck. «Ein kompletter Schriftsatz kann bis zu 1400 Zeichen umfassen», erklärt Luca. Dazu gehören nicht nur Buchstaben, sondern auch Zahlen und Sonderzeichen. Nimmt man eine kleine Änderung vor, muss man sie auf sämtliche Zeichen übertragen. Wer eine Schrift von Grund auf neu entwirft, ist darum auch heute noch gut und gerne eine Woche lang nur mit einem einzigen Buchstaben beschäftigt. Mittlerweile umfasst die Schriftfamilie Unica77 über 30 verschiedene Mitglieder, die sich in Dicke, Neigung, Abstand – oder sogar durch Bewegung – unterscheiden. Ähnlich wie Software werden auch Schriften in Zusammenarbeit mit professionellen Designstudios ständig aktualisiert und optimiert.
«Man muss wohl ein ziemlicher Nerd sein, um sich für diese Details so zu begeistern wie wir», gibt Weichi schmunzelnd zu. Auf die Frage, ob die Schriftfamilie nun vollendet sei, reagieren Luca und Weichi daher mit Unverständnis:
«Eine Schrift ist nie ganz fertig. Zumindest nicht bei uns».
Linetos Installation zur Schrift Unica77 kann noch bis zum 19. September im Zürcher Polestar Space besucht werden.