Future Talk 05: Veganomics
Das Zusammenspiel von Gesellschaft, Technologie und Ökologie stand beim fünften Future Talk im Mittelpunkt. Doch wenn es um fleischlose Zukunftsperspektiven geht, spielen auch Emotionen eine wichtige Rolle. Zu Gast waren diesmal Stephanie Nägeli, Innovationsverantwortliche der SV-Group, und Joël Luc Cachelin, Vordenker und Autor des Buches «Veganomics».
Ob im Supermarkt, im Restaurant oder vor dem heimischen Kühlschrank: Pro Jahr trifft jeder und jede von uns rund 70'000 Essentscheidungen. Und diese fallen uns heute vielleicht schwerer denn je. Denn was auf den Teller kommt, ist nicht mehr nur eine Frage des Geschmacks und der Verfügbarkeit, sondern zieht immer mehr gesellschaftliche Fragen nach sich. Welche Wirkung hat das gewählte Essen auf meine Gesundheit und das Wohl des Planeten? Wie können unsere beschränkten Rohstoffe eine wachsende Bevölkerung ernähren? Und wie steht es eigentlich um das Tierwohl? Wer Antworten auf diese Fragen sucht, kommt nicht umhin, über fleischlose oder rein pflanzliche Lebensmittel nachzudenken.
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Experimente und Spannungsfelder
Joël Luc Cachelin ist «Futurist». Im Jahr 2009 gründete er die Wissensfabrik, um Unternehmen in Zukunftsfragen zu inspirieren, zu forschen und zu beraten. 2023 beschäftigte er sich in seinem Buch «Veganomics» mit der Zukunft der Ernährung. Anhand fiktiver Inselstaaten liess er darin verschiedene Richtungen gegeneinander antreten. Es zeigt sich aber auch, dass unsere Ernährung längst nicht mehr isoliert betrachtet werden kann, sondern mit diversen anderen Industrien verknüpft ist - von der Kleidung bis zum Make-up. «Die Probleme sind da und werden in Zukunft nicht einfacher werden. Es entstehen neue Spannungsfelder, Abhängigkeiten und Zielkonflikte - das kann durchaus interessant sein».
Auf den Geschmack bringen
Dieser Meinung ist auch Stephanie Nägeli. Sie hat für Nestlé im Silicon Valley gearbeitet und ist heute Innovationsverantwortliche der SV Group. Mit über 500 Kantinen und Restaurants sowie mehr als 25 Millionen gekochten Hauptmahlzeiten jährlich prägt die SV Group die Schweizer Ernährung - auch in Schulen. «Nachhaltigkeit ist Teil der DNA unseres Unternehmens», erklärt Nägeli. «Als Big Player in der Gastronomie sehen wir uns auch in der Verantwortung, einen Beitrag für eine nachhaltigere Zukunft zu leisten.» Den grössten Hebel haben aber die Gäste in der Hand, denn bei ihnen liegt die Entscheidung. «Wir wollen die Leute nicht bevormunden, sondern auf den Geschmack bringen, indem wir feine vegetarische und vegane Alternativen anbieten.»
Auch der Teller wird dazu neu erforscht: «Für viele steht immer noch das Drei-Komponenten-Menü im Mittelpunkt: Fleisch, Gemüse, Sättigungsbeilage». Hier können neue Rezepturen, andere Kulturen und Ansätze den Blick auf den eigenen Teller erweitern.
Neue Geschmäcker, andere Namen
«Wir möchten zeigen, dass pflanzliche Ernährung nicht Verzicht bedeutet, sondern neue Geschmackserlebnisse mit sich bringt», fasst Stephanie Nägeli zusammen. Fleischersatzprodukte können in dieser Transformation helfen, auch traditionelle Esserinnen und Esser zu begeistern. «Die Zukunft sehen wir aber nicht in stark verarbeiteten Fleischersatzprodukten.» Vielmehr könnten alte Möglichkeiten wie die Fermentation wieder eine grössere Rolle spielen. «Zudem versuchen wir, die Fleischmengen zu reduzieren - zum Beispiel mit einem Hamburger-Patty, das je zur Hälfte aus Fleisch und Gemüse besteht.» Wie schmackhaft uns ein Menü erscheint, hängt auch von der Bezeichnung ab: «Der Begriff ‹vegan› schreckt viele ab. Wenn man zum Beispiel eine Protein Bowl statt einer Vegan Bowl verkauft, spricht man eine breitere Gruppe an», weiss Nägeli.
Dass Fleisch in naher Zukunft ganz vom Speiseplan verschwinden wird, bezweifeln beide Gäste. «Wahrscheinlich wird es ein Mix aus verschiedenen Formen sein, je nach Kultur und Verfügbarkeit», vermutet Autor Joël Luc Cachelin.
Smart Toilets oder Regenbogen?
Wissen spielt eine wichtige Rolle auf dem Weg zu einer pflanzlicheren Ernährung. Technologie könnte uns dabei unterstützen - oder unterwandert sie unsere instinktiven Entscheidungen? «Technologische Hilfsmittel beeinflussen bereits heute aktiv unsere Gesundheit - die Smartwatch an meinem Handgelenk sagt mir, wie viele Schritte ich heute noch laufen sollte. Ich persönlich träume von einer Smart Toilet, die unsere Werte misst», sagt Stephanie Nägeli. Die Verantwortung, etwas zu ändern liegt aber – wie bei der Fitness-Uhr – nach wie vor bei uns selbst.
«Wir haben es bei der Zukunft der Ernährung mit zwei extrem gegensätzlichen Denkmodellen zu tun: Auf der einen Seite setzen die Menschen auf hochkomplexe technologische Lösungen, auf der anderen Seite suchen sie nach achtsamen Wegen. Dieses Spannungsfeld finde ich interessant», sagt Cachelin.
Essen verbindet (eben doch)
Die Lust am Essen verbindet uns alle. «Nach der Pandemie haben wir gemerkt, dass Essen wirklich eine sehr verbindende Komponente hat, die in den Restaurants und Kantinen ja eigentlich super funktioniert: Alle sitzen zusammen, jede Person kann essen, was und wie sie will. Beim gemeinsamen Essen lässt sich vieles diskutieren – und entpolitisieren», findet Stephanie Nägeli. Dass man sich gerade bei diesem Thema auch an die Gurgel springen kann, hat Cachelin mit der Veröffentlichung seines Buchs am eigenen Leib erlebt. «Nicht nur das Essen, auch andere gesellschaftliche Themen werden heutzutage teils hochemotional diskutiert, die Lösungsfindung fehlt dabei leider oft. Wie bei so vielem sollten wir uns auch hier eher darauf konzentrieren, was uns verbindet als darauf, was uns trennt.»
Denn die Antwort auf unsere Ernährungsfragen liegt wahrscheinlich, wie so oft, in einer vielfältigen Zukunft und nicht in einer einzigen Lösung.
Dass man bei vegetarischen Häppchen und feinen Drinks darüber noch viel besser sprechen kann als auf einem Podium, zeigte auch dieser Event: Der Apéro dauerte deutlich länger als das Bühnengespräch. Und das ist ein gutes Zeichen für die Zukunft.
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