«Design macht uns die Welt verfügbar»
Design ist mehr als nur die äusserliche Form- und Farbgestaltung eines Objekts. «Design gestaltet die Schnittstelle zwischen uns und der Umwelt», so Meret Ernst, Designexpertin am Polestar Talk vom 12. September 2023 im Polestar Space in Zürich. Auch Schriftdesigns sind Schnittstellen, die mehr als eine Gebrauchsfunktion haben.
Was würde eine Schrift sagen, wenn sie sprechen könnte? «Meine Lieblingsschrift Courier würde wohl einen etwas umständlichen, schwierig zu verstehenden Satz formulieren und gegen Ende abbrechen, weil die Mechanik rostig ist», sagte Designexpertin Meret Ernst und sorgte damit für Schmunzeln unter den Gästen des Polestar Talks vom 12. September 2023. Die renommierte Designexpertin studierte Kunstgeschichte, Filmwissenschaften und Publizistik an der Universität Zürich. Heute ist die promovierte Kunsthistorikerin Vizepräsidentin der SDA Swiss Design Association und Dozentin für Designgeschichte und -theorie am Institut Industrial Design an der HGK Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel. Am Polestar Talk tauchte Meret Ernst im Gespräch mit Moderatorin Isabelle Riederer in die Welt des Schriftdesigns ein.
Buchstaben sind nicht nur praktisch
Nur warum braucht es Schriftdesigns? Und warum gibt es immer wieder neue Schriften? Ein Buchstabe ist ein Buchstabe. «Die Gebrauchsfunktion von Buchstaben, die wir indes wirklich gut gebrauchen können, ist nur die eine Seite. Ein Buchstabe macht erst in der Anwendung Sinn, ob in Form einer Zeitung, eines Buches, eines Logos oder eines Autobahnschilds», erklärt Meret Ernst und weiter: «Sie folgen aber eben nicht nur diesem Gebrauchszweck. Sie vermitteln auch eine ästhetische Erfahrung.» Und erfahren im Laufe der Zeit eine neue Bewertung. Meret Ernst: «Ein Mensch in der frühen Neuzeit hätte wohl Mühe mit unseren entschlackten, serifenlosen Schriften, wie z.B. LL Unica.»
Doch nicht nur die Bewertung hat neue Schriften hervorgebracht, auch der technologische und kulturelle Wandel führte zu neuen Schriftdesigns. «Die digitale Revolution der Achtzigerjahre liess die Welt der Schriften explodieren, und in den vergangenen zwanzig Jahren sind in der Schweiz mehr Buchstaben entworfen worden als im gesamten 20. Jahrhundert. Das hat vor allem auch mit den technischen Möglichkeiten zu tun: Schriften werden heute am Computer entworfen und als digitale Schriftsätze angeboten», sagt Meret Ernst.
Schriftdesigns unterstützen Identitäten
Eine wichtige Rolle übernehmen Schriftdesigns auch im Branding, wodurch sie zum Spiegel eines Markencharakters werden können. So auch die Polestar-Schrift LL Unica 77. Das klare, minimalistische, aber gleichzeitig sehr moderne und kraftvolle Design unterstützt die Identität und die Botschaft von Polestar. Als weiteres gelungenes Beispiel präsentiert Meret Ernst den Gästen das Schriftenlogo der Firma «Riri». «Leider weiss man nicht, von wem der Entwurf stammt, aber als Wortmarke nimmt das Schriftdesign auf, wofür das Produkt steht – für einen Reissverschluss. Das ist einfach gut!»
Zum Abschluss des Polestars Talks blickt Meret Ernst noch in die Zukunft. Insbesondere auf den Einfluss künstlicher Intelligenz auf das Schriftendesign. Und eines vorweg: Auch die Designgilde und die Typographie muss sich mit KI auseinandersetzen, denn für Meret Ernst steht fest: «Da Schriften auf einem Skelett basieren, kann ich mir vorstellen, dass neue Schriften mittels künstlicher Intelligenz geformt werden können. Es bleibt aber die Frage, die sich bereits Stanley Morison, der Entwickler der Times New Roman von 1932 gestellt hat: Kann gute Gestaltung rein technisch hergestellt werden oder braucht es eine Überprüfung und eine Überarbeitung durch Menschenhand. Das werden wir in den nächsten Jahren wohl sehen.»
Die künftige Üppigkeit
Ob wir künftig überhaupt noch eine Schrift brauchen werden, bei all den Emojis, Memes und Gifs? «Unsere Schrift ist eine extrem robuste und clevere Erfindung. Ich bin deshalb auch überzeugt, dass es noch eine sehr lange Zeit neue Schriften geben wird.» Und wie sehen die Schriften der Zukunft aus? Üppiger und verspielter. Meret Ernst: «Stilhistorisch gab und gibt es seit jeher sogenannte Pendelbewegungen. Das heisst: Je abstrakter, entschlackter die Schriften werden, desto barocker wird die nächste Generation»